Dichterische Freiheit

Suedlohner
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Dichterische Freiheit

Beitrag von Suedlohner »

Auch auf die Gefahr hin, dem einen oder anderen mit meinem „Gequake“ auf die Nerven zu gehen, wage ich es dennoch, einen Diskussionspunkt hervorzukramen, der in diesem Forum schon einmal an anderer Stelle behandelt wurde. Es ging um die „dichterische Freiheit“ und darum, daß es dem Schriftsteller erlaubt sein müsse, den gepflasterten Pfad (fast hätte ich geschrieben: Trampelpfad) der Regeln und Normen zu verlassen und seinen eigenen Weg zu gehen. In diesem Zusammenhang fiel mir neulich eine Stelle aus dem „Friede“-Roman auf, in der Karl May - frei durchatmend - diesen Sachverhalt sehr schön auf seine Weise beschreibt.

Bekanntlich ist dem Schriftsteller viel, sehr viel erlaubt; ich aber gehe noch weit über dies hinaus und erlaube mir etwas, was sich noch keiner dieser Herren je gestattet hat, nämlich – – zu schweigen! Ich beschreibe unsere Yin auch heut noch nicht und jedenfalls auch morgen und übermorgen nicht! Und ich habe ein Recht dazu, denn alle meine bisherigen Reiseerzählungen sind nur Vorstudien, Uebungen und Skizzen, bei denen ich lang oder kurz, breit oder schmal sein kann, ganz wie es mir beliebt. Ich habe ja bereits gesagt, daß ich kein Künstler bin, und fühle mich also frei von jedem Zwang, unter dem – – – bald hätte ich gesagt: die Kunst zu seufzen hat. Als ob die wahre Kunst, der wahre Künstler irgend einem Zwange zu gehorchen hätte! Im Gegenteile, die Kunst ist die Bezwingende; sie macht sich alles, alles untertan!
[Karl Mays Werke: Und Friede auf Erden!. Karl Mays Werke, S. 64771-64772
(vgl. KMW-V.2, S. 596-597) http://www.digitale-bibliothek.de/band77.htm ]