KARL MAY & Co. Nr. 111

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Hermesmeier

Re: KARL MAY & Co. Nr. 111

#16 Beitrag von Hermesmeier »

Wenn wir unseren Autor lebendig erhalten und von der Literaturwissenschaft anerkannt wissen wollen, ist es jedoch nötig, sich auch neueren Forschungsansätzen zuzuwenden.
Hmm. Wenn ein Autor lebendig bleiben will, muss er Leser finden. Das heißt auch, dass die zeitenüberdauernde Qualität eines Schriftstellers in seinem Werk liegt, liegen muss. Ob sich daneben eine Forschung etabliert, hat auf das Leseverhalten keinen Einfluss.

Neue Forschungsansätze zu finden und sich mit ihnen zu beschäftigen, ist dagegen ein existenzberechtigendes Tun der Wissenschaft selbst, für die der Autor und sein Werk nur noch als Objekt dienen.

Und ob Karl May von der Literaturwissenschaft anerkannt wird oder nicht, ist mir herzlich egal. Und was heißt überhaupt "anerkannt"? Gibt es tatsächlich Wissenschaftler, die behaupten, Karl May habe es nie gegeben?

Barbara
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Re: KARL MAY & Co. Nr. 111

#17 Beitrag von Barbara »

Ihre Wertung, was davon als "alt" oder "modern" und damit als besser anzusehen ist, teile ich dagegen in gar keiner Weise.
"Modern" heißt keineswegs automatisch "besser" für mich. Aber man sollte halt den aktuellen Forschungsdiskurs nicht aus den Augen verlieren, bzw. nicht jammern, warum Karl May immer mehr zum Nischenprogramm wird, dabei aber vergessen, in der Karl-May-Forschung an die aktuellen Fragestellungen anzuknüpfen.
... nicht an "sein" Thema, sondern an das ihm vorgegebene Thema. Herr Blau hat sich ja nicht selbst eingeladen, sondern wurde um die Bearbeitung eines vorgegebenen Themas gebeten. Stichwort: Auftragsarbeit.
Auch bei Auftragsarbeiten kann und sollte man einen Schwerpunkt setzen. Und gerade den vermisse ich bei dem genannten Beitrag. Was hier geschah, ist undifferenzierte Aufzählung. Was ich vermisse, ist ein erkennbares Motto. Ein Autor, der mit seinem Namen zeichnet, verantwortet seinen Text, da ist es billig, sich auf eine vage Aufgabenstellung herauszureden.
Das, was Sie sich wünschen, ist auf 10 Schreibmaschinenseiten (Umfangsvorgabe des DHM) nicht abzuhandeln. Im übrigen ist das, was Sie sich für Ihre persönliche Disziplin wünschen, in einem Museumskatalog nicht richtig platziert und von der Katalog-Redaktion eben gerade nicht erwünscht gewesen.
Woher kennen Sie eigentlich so genau die Vorgaben und Wünsche des DHM? Sind da nicht vielleicht Eigeninteressen oder persönliche Seilschaften im Spiel? Abgesehen davon, dass Sie mich offensichtlich bewusst missverstehen wollen.
Die Beiträge sollen interessant sein und verständlich für den "normalen" Museumsbesucher und sich gerade nicht im Wissenschafts-Klein-Klein verlieren.
Hier stimme ich Ihnen zu. Und gerade das macht die Aufsätze von Meyer, Polaschegg oder zumindest den ersten Teil von Beneke/Kuhrau so gut.
Immerhin seltsam, dass Sie hier - wenn auch zurecht - einen Überblick vermissen, und dort, wo er gegeben wird (bei den ausländischen Editionen), dieses dann ebenfalls bemängeln.
Ein Überblick ist für mich eine tabellarische Zusammenstellung, aber kein seitenlanger Aufsatz. Hier haben wir wohl unterschiedliche Definitionen.

Barbara
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Re: KARL MAY & Co. Nr. 111

#18 Beitrag von Barbara »

sandhofer hat geschrieben:
Ich würde vielleicht anstatt "tiefergehende" Fragestellungen einfach "andere, zusätzliche" setzen, aber grundsätzlich gehe ich mit dieser Kritik an der aktuellen Karl-May-Forschung völlig einig. [...] Dass andere Forschungsansätze sträflich vernachlässigt werden, ist nicht abzustreiten.

Aber - und jetzt kommt mein grosses "Aber": Gibt es bei May überhaupt Nennenswertes, das wir literaturwissenschaftlich anpacken könnten? Ich meine: Seitenweise in Jamben leiern zu können, macht - da muss ich Arno Schmidt dann doch widersprechen - noch keinen qualitativ hochwertigen Text aus ...
Einverstanden mit den "anderen, zusätzlichen" statt den "tiefergehenden" Fragestellungen!
Ich denke übrigens schon, dass man Karl May auch literaturwissenschaftlich bearbeiten kann. Er gibt zwar ästhetisch sicher nicht so viel her wie Schiller und Co, aber in Richtung Erzählanalyse, Motivforschung, Sozialgeschichte, Colonial studies, Gender studies, um nur einige zu nennen, ist er sicher noch nicht ausgereizt. Wichtig ist halt, ihn als das zu sehen, was er ist: ein guter Unterhaltungsschriftsteller, nicht mehr, aber auch nicht weniger. Auch die Brüche bei seinen Figuren verdienten einmal eine Aufarbeitung, so ist z.B. der Superheld Shatterhand bei aller vordergründiger Moral manchmal nach meinen Maßstäben auch ein durchaus fragwürdiger Charakter.

Hermesmeier

Re: KARL MAY & Co. Nr. 111

#19 Beitrag von Hermesmeier »

Barbara hat geschrieben:"Modern" heißt keineswegs automatisch "besser" für mich. Aber man sollte halt den aktuellen Forschungsdiskurs nicht aus den Augen verlieren, bzw. nicht jammern, warum Karl May immer mehr zum Nischenprogramm wird, dabei aber vergessen, in der Karl-May-Forschung an die aktuellen Fragestellungen anzuknüpfen.
Sie sind der Auffassung, dass die Wissenschaft einen Autor vor dem Vergessen rettet. Ich dagegen meine, dass das nur die Leser können (gelegentlich hilft da auch ein cleveres Marketing). Mir scheint jedoch, dass die Wissenschaft einen Autor zu einem musealen Objekt macht und damit einen Sargdeckel liefert, den sie weiterhin schön verziert. Aber einen Autor lebendig halten? Das wäre ja ein Präzedenzfall, oder kennen Sie auch nur einen einzigen Autor, der nachdem die Wissenschaft ihn beim Wickel hatte, wieder ins Bewusstsein einer breiteren Leserschaft zurückkehrte?

Barbara hat geschrieben:Woher kennen Sie eigentlich so genau die Vorgaben und Wünsche des DHM? Sind da nicht vielleicht Eigeninteressen oder persönliche Seilschaften im Spiel?
Und nun schalten wir auch gleich wieder einen Gang zurück. Ich habe einen Autorenvertrag des DHM vom 18.1.2006 für einen Beitrag zum Katalog. Dort heißt es unter Punkt 3: Der Beitrag soll einen Gesamtumfang von etwa 8-10 Schreibmaschinenseiten (je 30 Zeilen á [sic] 60 Anschläge bzw. ca. 1.800 Zeichen pro Seiten) haben. Für jede weitere Seite besteht kein Anspruch auf Honorar. Mein Beitrag wurde zwar angenommen und honoriert, dann aber nicht in den Katalog aufgenommen: Inzwischen haben wir den Akzent des Buches stärker auf den kulturellen Kontext von Mays Erzählungen - den Orient, Afrika und Amerika - gerichtet, als ursprünglich vorgesehen. (Schreiben vom 4. 5. 2007). Sie dürfen mir glauben, dass ich aus erster Hand weiß, wie Beiträge eingeholt wurden und welche Vorgaben man machte. Das liegt mir ganz positivistisch als Dokument vor. Da braucht es keine wilden Interpretationen und Seilschaft-Vermutungen.

Barbara hat geschrieben:Abgesehen davon, dass Sie mich offensichtlich bewusst missverstehen wollen.
Nein. Ich verstehe Sie ganz genau, aber ich teile Ihre Ansichten nicht.

Barbara hat geschrieben:Ein Überblick ist für mich eine tabellarische Zusammenstellung, aber kein seitenlanger Aufsatz. Hier haben wir wohl unterschiedliche Definitionen.
Um Definitionen geht es gar nicht. Ich mag nur kaum glauben, dass Sie einen Text langweiliger finden als eine Tabelle. Und welcher Autor hätte sich bereit finden sollen, die von Ihnen gewünschte Tabelle als Fronarbeit abzuliefern, während andere in der jeweils eigenen Prosa schwelgen dürfen?

Barbara
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Re: KARL MAY & Co. Nr. 111

#20 Beitrag von Barbara »

Hermesmeier hat geschrieben: Hmm. Wenn ein Autor lebendig bleiben will, muss er Leser finden. Das heißt auch, dass die zeitenüberdauernde Qualität eines Schriftstellers in seinem Werk liegt, liegen muss. Ob sich daneben eine Forschung etabliert, hat auf das Leseverhalten keinen Einfluss. [...] Und ob Karl May von der Literaturwissenschaft anerkannt wird oder nicht, ist mir herzlich egal.
Das erklärt natürlich, warum immer weniger junge Leute Karl May lesen ;-)
Wissen wir überhaupt, was wir wollen? Einerseits bemängeln gewisse Personen, dass Karl May immer mehr mit den Freilichtspielen assoziiert wird, andererseits lehnen sie seriöse Forschung über ihn ab. Faktum ist jedoch, dass in Zeiten von "Harry Potter" und Gameboy kaum ein Kind mehr zum Karl-May-Lesen animiert werden kann (ich habe es zumindest bei meiner Tochter und meinen Neffen vergeblich versucht). Wenn wir wollen, dass er auch von jüngeren Generationen gelesen wird, müssen wir die da abholen, wo wir sie finden können. Lesefreudige Jugendliche/junge Erwachsene tummeln sich z.B. in den Philologischen Studienrichtungen herum. Von über 30 Studenten in meinen Kursen haben in der Regel maximal 2 Karl May gelesen. Wenn ich ihm durch Forschungsarbeit Gewicht verleihe und bei nur einem weiteren Studenten den Eindruck erwecken kann, dass sich sowohl eine Beschäftigung mit Schiller als auch mit Karl May lohnt, habe ich einen neuen Leser und möglichen Multiplikator gewonnen. So unwichtig kann Forschung also nicht sein. Übrigens schon mal etwas von Kanonbildung gehört?

Außerdem finde ich es schade, andere als die eigene Beschäftigungsweise mit dem Autor aus Desinteresse oder Unverständnis einfach pauschal abzuwerten. Ich schätze an unserem Magazin gerade die Vielfalt: mich interessieren die Editionen selber nicht, trotzdem habe ich gelernt, dass es Leute gibt, für die das durchaus spannend sein kann. Beiträge über Illustrationen sind für mich neu und höchst erfreulich. Auch als "hehrer Wissenschaftler im Elfenbeinturm" besuche ich gerne Freilichtaufführungen und sehe sie als wichtiges zeitgenössisches Rezeptionsphänomen an. Und auch die Filme gehören unbedingt dazu. Niemandem steht die Arroganz zu, nur sein eigenes Spartenprogramm als das alleinseligmachende einzustufen. Bei allen persönlichen Vorlieben stünde uns doch auch eine gewisse Toleranz und Offenheit gut an.

Barbara
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Re: KARL MAY & Co. Nr. 111

#21 Beitrag von Barbara »

Hermesmeier hat geschrieben:
Das wäre ja ein Präzedenzfall, oder kennen Sie auch nur einen einzigen Autor, der nachdem die Wissenschaft ihn beim Wickel hatte, wieder ins Bewusstsein einer breiteren Leserschaft zurückkehrte?
Glauben Sie wirklich, dass man die Klassiker ohne entsprechende Wissenschaft (übrigens werden zumindest in Österreich die Deutschlehrer alle an der Germanistik, also akademisch ausgebildet;ich nehme an, in Deutschland ist das auch so) heute noch lesen würde?

Sie dürfen mir glauben, dass ich aus erster Hand weiß, wie Beiträge eingeholt wurden und welche Vorgaben man machte.
Wie man gesehen hat, kann man diese Vorgaben aber durchaus in der individuellen Bearbeitung freier auslegen. Immerhin wurde Meyers Aufsatz gedruckt.
Barbara hat geschrieben:Abgesehen davon, dass Sie mich offensichtlich bewusst missverstehen wollen.
Nein. Ich verstehe Sie ganz genau, aber ich teile Ihre Ansichten nicht.
Müssen Sie auch nicht, aber lassen Sie sie wenigstens stehen und verdrehen Sie mir nicht das Wort im Mund.

Barbara hat geschrieben:Ein Überblick ist für mich eine tabellarische Zusammenstellung, aber kein seitenlanger Aufsatz. Hier haben wir wohl unterschiedliche Definitionen.
Um Definitionen geht es gar nicht. Ich mag nur kaum glauben, dass Sie einen Text langweiliger finden als eine Tabelle. Und welcher Autor hätte sich bereit finden sollen, die von Ihnen gewünschte Tabelle als Fronarbeit abzuliefern, während andere in der jeweils eigenen Prosa schwelgen dürfen?
Ist aber so. Eine Tabelle dient einem raschen, strukturierten Überblick. Von einem Text erwarte ich mir einen gewissen Lesegenuss und bei (populär)wissenschaftlichen Texten eben auch Erkenntnisgewinn. Sonst ist es zeitökonomischer, in zwei Minuten eine Tabelle zu überfliegen, als eine halbe Stunde in einen Aufsatz, der dann nichts Neues bringt, zu investieren. In anderen Museen macht solche eine Fronarbeit übrigens das Redaktionsteam, die Leute, die auch Abbildungsverzeichnisse, Kurzbios, Bibliografie etc. erstellen müssen. Das sind im Normalfall Angestellte, die für diese Fronarbeit nicht einmal separat bezahlt werden.

Barbara
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Re: KARL MAY & Co. Nr. 111

#22 Beitrag von Barbara »

Hermesmeier hat geschrieben: Wie man eine Anthologie umfassender und detaillierter besprechen kann, zeigt Rüdiger Wick ab S. 67
Ich kann dieses Lob zwar nicht ganz nachvollziehen, da ich diese Kritik hauptsächlich zynisch finde und ich auch nicht wirklich verstehe, warum man sich unserem Autor nicht auch kritisch nähern darf (ein guter Autor hält das nämlich aus), aber darum geht es mir jetzt gar nicht.

Was der Vergleich der drei Rezensionen nämlich zeigt, ist das Problem der unterschiedlichen und für mich nicht ganz nachvollziehbaren Gewichtung in puncto Umfang. Herr Wick konnte sich auf drei Seiten zu einem 6 Aufsätze plus Paratexte zählenden Sammelband auslassen, da ist ausführliche Kritik natürlich leichter. Ich musste meinen Beitrag nachträglich auf etwa zwei Seiten kürzen, dabei aber 16 Aufsätze zuzüglich Paratexte besprechen. Doch im Vergleich zu Herrn Kunz ging es mir dabei noch richtig gut, stand ihm doch nicht einmal eine halbe Seite für einen offensichtlich ähnlichen Textumfang zur Verfügung. Da ist es nur zu verständlich, dass er eine Auswahl (die allein ja bereits eine implizite Kritik bedeutet) treffen muss, auch wenn unterschlagene Autoren darüber natürlich enttäuscht sind.

Für die Zukunft sollte bei der Planung der Rezensionen berücksichtigt werden, wieviele Aufsätze (nicht Seiten) so ein Band umfasst, um der Publikation und ihren Autoren einigermaßen gerecht werden zu können.

Hermesmeier

Re: KARL MAY & Co. Nr. 111

#23 Beitrag von Hermesmeier »

Barbara hat geschrieben:Das erklärt natürlich, warum immer weniger junge Leute Karl May lesen ;-)
Wissen wir überhaupt, was wir wollen?
Schon wieder dieses kollektive "wir". Lassen Sie mich da bitte raus. Mir ist jeder missionarische Ansatz "Die Jugend soll mehr Karl May lesen" suspekt. Es ist nicht meine Aufgabe, mehr Leser für Karl May zu finden. Dann muss er selbst schaffen - auch postum. Karl May hat jetzt bereits die eigene Lebenszeit um 100 Jahre verlängert. Das wird immer eine beachtliche Leistung bleiben. Aber alles stirbt irgendwann, auch einmal das Interesse an Karl May. Man mag das bedauern, aber das ist der Lauf der Welt.

Barbara hat geschrieben:Einerseits bemängeln gewisse Personen, dass Karl May immer mehr mit den Freilichtspielen assoziiert wird, andererseits lehnen sie seriöse Forschung über ihn ab.
Also so einen Satz kann man nicht einfach so stehen lassen. Sie spielen hier die einen gegen die anderen aus. Dabei geht es hier um ein 'sowohl - als auch'. Ich habe nichts gegen die Festspiele. Sie interessieren mich zwar nicht die Bohne. Aber sie haben ihre Berechtigung und sollen sie auch behalten. Mich persönlich packt nur das Unverständnis, wenn Zuschauer meinen - und das gilt in noch viel stärkerem Maße für die Filme - das sei "Karl May". Wenn man gegen jede positivistische Einsicht ignoriert, dass Karl May ein Schriftsteller war, ist mir jedenfalls jede Diskussionsgrundlage entzogen.
Ums ganz deutlich zu sagen und zu wiederholen. Der Gegenpart zu den "Freilichtspielen" ist nicht die "seriöse Forschung", sondern die "simple Lektüre" seiner Werke.

Barbara hat geschrieben:Faktum ist jedoch, dass in Zeiten von "Harry Potter" und Gameboy kaum ein Kind mehr zum Karl-May-Lesen animiert werden kann (ich habe es zumindest bei meiner Tochter und meinen Neffen vergeblich versucht).
Wieder dieses "entweder oder" anstelle eines "sowohl als auch". Ich jedenfalls bin kein Kind und habe beide Autoren mit Vergnügen gelesen. Und die literarische Qualität schätze ich - abgesehen vom Schlussband - bei Rowling erheblich höher ein. Und dennoch lese ich weiterhin Karl May.

Barbara hat geschrieben:Wenn wir wollen, dass er auch von jüngeren Generationen gelesen wird, müssen wir die da abholen, wo wir sie finden können.
Schon wieder dieses rhetorische 'wir', dem ich mich ganz eindeutig nicht zugehörig fühle. Ich missioniere nicht. Wenn Karl May künftig neue Leser gewinnt, freut mich das. Wenn nicht, kann ich damit leben. Es kommt, wie es kommt. "Die Jugend zu Karl May hinführen" ist so ein Schlagwort. Das Absurde muss man sich einfach mal vor Augen führen. Karl May war am erfolgreichsten, als er von ganzen Schülergenerationen heimlich unter Schulbänken oder Bettdecken gelesen wurde, ganz entgegen den Empfehlungen von Pädagogen. Ich weiß, wie ich auf Leseempfehlungen reagiere: mit innerem Widerstand. Die Jugend muss ihren Karl May schon von ganz allein entdecken, ohne dahin geschuppst zu werden. Meine Lehrer wollten mich zu Bertolt Brecht hinführen. Sie sind kläglich gescheitert.

Barbara hat geschrieben:Übrigens schon mal etwas von Kanonbildung gehört?
Reinhard Mey hat geschrieben:Erinnert euch daran: Sie waren zwölfe:
Den dreizehnten, den haben sie eiskalt
Verraten und verhökert an die Wölfe.
Man merke: Im Verein wird keiner alt!
Worum es geht, ist mir schnuppe:
Mehr als zwei sind eine Gruppe.
Jeder dritte hat ein andres Ziel,
Der nagelt mit Engelsmiene
Beiden ein Ei auf die Schiene!
Nein, bei drei‘n ist einer schon zuviel!
Ich will in keinem Haufen raufen,
Laß mich mit keinem Verein ein!
Barbara hat geschrieben:Außerdem finde ich es schade, andere als die eigene Beschäftigungsweise mit dem Autor aus Desinteresse oder Unverständnis einfach pauschal abzuwerten.
Hier beschreiben Sie exakt Ihre Haltung zum Beitrag von Christoph Blau. Sie waren, wie Sie selbst schrieben, gelangweilt. Der Inhalt interessierte sie einfach nicht. Statt dieses in der Rezension so zu schreiben, was selbstverständlich erlaubt gewesen wäre, werfen Sie ihm methodische Fehler vor. Ich finde das nach wie vor unredlich.

Barbara hat geschrieben:Niemandem steht die Arroganz zu, nur sein eigenes Spartenprogramm als das alleinseligmachende einzustufen.
Soweit ich das sehe, macht das auch niemand. Oder hätte ich Sie da falsch verstanden?

Hermesmeier

Re: KARL MAY & Co. Nr. 111

#24 Beitrag von Hermesmeier »

Barbara hat geschrieben:Glauben Sie wirklich, dass man die Klassiker ohne entsprechende Wissenschaft ... heute noch lesen würde?
Ich bin davon überzeugt, dass sie schon lange nicht mehr gelesen werden. Meine Überzeugung wird sekundiert durch das Nicht-Kauf-Verhalten unserer Kunden im Antiquariat. Die wenigen, die noch Klassiker kaufen, suchen in der Regel etwas Repräsentatives fürs Regal, und sie geben das auch zu. Man bekommt gelegentlich Farbwünsche und Meterangaben mitgeteilt ...

Barbara hat geschrieben:In anderen Museen macht solche eine Fronarbeit übrigens das Redaktionsteam, die Leute, die auch Abbildungsverzeichnisse, Kurzbios, Bibliografie etc. erstellen müssen. Das sind im Normalfall Angestellte, die für diese Fronarbeit nicht einmal separat bezahlt werden.
Sind wir uns angesichts der Fehlleistungen des Lektorats, wie sie sich im Katalog unübersehbar zeigen, wenigstens einig, dass man dort zur Erstellung einer solchen tabellarischen Übersicht schlichtweg nicht fähig gewesen wäre? Ich fürchte, eine Errataliste würde länger als die gegebene Übersicht.

IDDOC
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Re: KARL MAY & Co. Nr. 111

#25 Beitrag von IDDOC »

Na das war ja eine interessante Diskussion.
Vielleicht darf ich einmal den Ketzer spielen 1.)Gelesen wird kaum noch und Klassiker schon gar nicht.Wobei die eh nur im Deutschuntericht gelesen wurden,denn wer liest schon Schiller oder Goethe zur Unterhaltung.Leider bezweifle ich auch, dass May noch in 50 Jahren gelesen wird,wie gesagt das Leseverhalten veraendert sich was ich bei meinen Kindern aus naechster Naehe beobachten kann.2.) Den Sinn oder Unsinn der Literaturwissenschaft stelle ich generell in Frage.Mit Sicherheit hat sie keinen Einfluss darauf wer wann gelesen wird mal abgesehen vom irgendwelchen Seminaren wo der Dozent die Lektuere bestimmt.

Rüdiger

Re: KARL MAY & Co. Nr. 111

#26 Beitrag von Rüdiger »

Liebe Frau Drucker,

natürlich muß Ihnen mein subjektiver Artikel zum Jahrbuch keineswegs gefallen, aber „hauptsächlich zynisch“ sollte er wirklich nicht sein, diesmal standen ja im besprochenen Buch viele schöne und interessante Dinge, und die Beiträge haben mir alle (mit einer, im Artikel erkennbaren, Ausnahme) im Großen und Ganzen eigentlich ganz gut gefallen (wobei es da auch noch, ebenfalls erkennbare, Abstufungen zwischen recht gut und sehr gut gibt). Die eine oder andere launige Bemerkung meinerseits war jeweils durchaus nicht gegen ganze Artikel oder deren Verfasser(innen) gerichtet. Da wurde offenbar wirklich etwas falsch verstanden.

Und daß man sich „unserem Autor nicht auch kritisch nähern“ dürfe, habe ich auch noch nie behauptet. Es kommt halt darauf an wie. Es gibt auch von mir äußerst kritische Ansichten in Sachen Karl May, mit denen ich mir seinerzeit schon den unheiligen Zorn einiger gelegentlich etwas blauäugig wirkender Schönredner bzw. –seher zugezogen habe.

*

Und nun zu etwas anderem:
ein guter Unterhaltungsschriftsteller, nicht mehr, aber auch nicht weniger.
schrieben Sie.

Ich hatte die Autorin dieses Statements bislang eher unter Verfasserin ernstgemeinter Berichte über Freilichtspiele in Österreich („Im Nacken zusammengebundene, blonde, lange Haare passen perfekt zum Image des jungen deutschen Helden“) oder zeitgenössische Sequels mit May-Bezug („die kritische Rezensentin freut sich jedes Mal wieder“) eingeordnet und hätte mich insofern an dieser Formulierung achselzuckenderweise nicht weiter gestört, indes war ich gestern umso überraschter, nun mehrmals so eindringlich auf wissenschaftlichen Background hingewiesen zu werden („ich bin eben Literatur-, also Textwissenschaftler“; „Generell vermisse ich in der May-Forschung tiefergehende Fragestellungen“; u.v.a.m.).

Mich würde ja mal in Zusammenhang mit der zitierten Einschätzung (und einem Gesamteindruck) interessieren, was Sie von Karl May gelesen haben (und was nicht), und in welchen Fassungen. Und ob Ihnen die Schriften von Robert Müller, Walther Ilmer, Hans Wollschläger oder Hermann Wohlgschaft (um einige der m.E. Wesentlichsten zu nennen) in Sachen May bekannt sind.

So, und jetzt lasse ich wieder die Sinne baumeln. Das kann man nämlich durchaus. Daß „man wohl die Seele, nicht aber die Sinne“ baumeln lasse, haben uns vielleicht Deutschlehrerinnen in der vierten Klasse der Grundschule (da gehörten sie auch hin, hätte ich fast gesagt) erzählt, denen sei es sozusagen mitleidig verziehen. Aber Autoren (egal ob es wie in diesem Fall Marheinecke ist oder May oder wer auch immer) Formulierungen vorschreiben zu wollen, nach „bester“ Bearbeitertradition, und dann noch derart kreativitätsausschaltend, das ist denn doch schon ein wenig heftig …

Mit besten Grüßen

Rüdiger Wick

sandhofer
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Re: KARL MAY & Co. Nr. 111

#27 Beitrag von sandhofer »

Barbara hat geschrieben:Ich denke übrigens schon, dass man Karl May auch literaturwissenschaftlich bearbeiten kann. Er gibt zwar ästhetisch sicher nicht so viel her wie Schiller und Co, aber in Richtung Erzählanalyse, Motivforschung, Sozialgeschichte, Colonial studies, Gender studies, um nur einige zu nennen, ist er sicher noch nicht ausgereizt.
Nun ja ... Erzählanalyse: ja. Motivforschung: meinethalben. Sozialgeschichte, Colonial Studies und Gender Studies rechne ich persönlich nicht unter die Literatur- (=Text!)Wissenschaft. Aber ich komme halt noch aus der guten alten textimmanenten Schule ... Und da gibt May nicht viel her ...
Barbara hat geschrieben:Auch die Brüche bei seinen Figuren verdienten einmal eine Aufarbeitung, so ist z.B. der Superheld Shatterhand bei aller vordergründiger Moral manchmal nach meinen Maßstäben auch ein durchaus fragwürdiger Charakter.
Das klingt nun eher nach einer ethischen Grundsatzdiskussion ...

Im übrigen wage ich zu behaupten, dass die Zahl derer, die "Klassiker" zum Vergnügen lesen, grösser ist als die Zahl jener, die heute noch Karl May lesen ... ;o)

guenni
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Re: KARL MAY & Co. Nr. 111

#28 Beitrag von guenni »

Ich habe die Ausgabe einfach nur gelesen und sie war sehr gut!!

Barbara
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Re: KARL MAY & Co. Nr. 111

#29 Beitrag von Barbara »

[quote="Hermesmeier
Barbara hat geschrieben:Außerdem finde ich es schade, andere als die eigene Beschäftigungsweise mit dem Autor aus Desinteresse oder Unverständnis einfach pauschal abzuwerten.
Hier beschreiben Sie exakt Ihre Haltung zum Beitrag von Christoph Blau. Sie waren, wie Sie selbst schrieben, gelangweilt. Der Inhalt interessierte sie einfach nicht. Statt dieses in der Rezension so zu schreiben, was selbstverständlich erlaubt gewesen wäre, werfen Sie ihm methodische Fehler vor. Ich finde das nach wie vor unredlich.

Barbara hat geschrieben:Niemandem steht die Arroganz zu, nur sein eigenes Spartenprogramm als das alleinseligmachende einzustufen.
Soweit ich das sehe, macht das auch niemand. Oder hätte ich Sie da falsch verstanden?[/quote]

Ich hatte den Eindruck, aber ich mag mich getäuscht haben.

Ein letztes Mal zum Blau-Aufsatz (dann klinke ich mich aus der Diskussion aus, die ohnehin nur mehr im Kreis läuft): Ich gebe zu, dass Wirkungsgeschichte nicht zu meinen Lieblingsgebieten zählt. Allerdings beurteile ich bei einer Rezension nicht, ob mich das Thema interessiert (denn dafür kann der Autor ja nichts), sondern ob mir seine Umsetzung des Themas gelungen erscheint. Ich bin in diesem Sinne auch nicht vom Thema oder der Disziplin, sondern eben von der Umsetzung gelangweilt. (Wäre das auf Thema oder Disziplin bezogen, hätte ich noch einige andere Beitrage erwähnen müssen.) Ich werfe Herrn Blau auch keine methodischen Fehler vor, sondern nur, auf halbem Wege stehen geblieben zu sein. Um ihn allerdings wirklich nicht ungerecht zu behandeln, habe ich mir nun seinen Background angesehen, der offensichtlich in der Bibliografie besteht. Unter diesem Gesichtspunkt hat er seine Aufgabe zweifelsohne erfüllt, als Materialiensammlung ist der Beitrag sicher gut, aber ich hätte mir zur Wirkungsgeschichte eben nähere Informationen gewünscht, unter welchen Gesichtspunkten May im Ausland gelesen wurde. Das kann man sehr wohl auch auf zehn Seiten herausarbeiten und hätte durchaus interessant sein können. Jetzt kann man darüber spekulieren, ob den Herausgebern kein Autor mit einer entsprechenden Ausbildung zur Verfügung stand, oder ob sie tatsächlich nur eine Bibliografie wollten. Als Leser war ich enttäuscht, und das auszudrücken, ist meine Aufgabe als Rezensent.

Barbara
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Re: KARL MAY & Co. Nr. 111

#30 Beitrag von Barbara »

Lieber Herr Wick,

Da habe ich Sie offensichtlich wirklich falsch verstanden. Obwohl für mich jetzt nicht ganz nachvollziehbar ist, was Sie mit den Zitaten bezwecken. Übrigens tun Sie doch das Gleiche wie ich, wenn ich sprachliche Ungenauigkeiten erwähne. Und als Bearbeiter sehe ich mich wirklich nicht. Aber darf ein Rezensent in der Karl-May-Szene wirklich nicht kritisch sein? Für allgemeines Blabla reichen doch Klappentext, Verlagsinformation oder Inhaltsverzeichnis, da kann man sich die Mühe einer Rezension sparen.

Zu Ihrer Frage nach meinem Umgang mit Karl May. Ich bin zwar Literaturwissenschaftler, aber in der May-Forschung noch eher ein Greenhorn. Für meinen Berliner Vortrag begann ich mich erstmals, mich in die Sekundärliteratur einzuarbeiten - hier haben Sie mir sicher noch sehr viel voraus. Einige von Ihnen erwähnte Autoren sind mir zumindest dem Namen nach bekannt, wenngleich ich sie noch nicht gelesen habe (das hängt vor allem mit meiner präferierten Methode, der Wirkungsästhetik, zusammen). Da ich nicht mein ganzes Leben und meine komplette Lektüre Karl May widme, kann ich nur selektiv und nach und nach die Sekundärliteratur aufarbeiten. Danke aber für die Empfehlungen!

Die von mir verwendete Sekundärliteratur können Sie dann dem Tagungsband entnehmen. Das wichtigste Resultat für mich war jedoch, dass ich nun meine Lektüreerlebnisse aus der Kindheit auffrische, bzw. revidiere, also die Bearbeitungen durch den Originaltext ersetze, was teilweise ganz überraschende Ergebnisse bringt. Was die Primärtexte betrifft, oute ich mich dahingehend, dass ich die Nordamerika-Erzählungen eindeutig bevorzuge, mit mir kann man daher auch (noch) nicht über Orientromane, Spätwerk, etc. sinnvoll reden, da die Erinnerung darüber äußerst verblasst ist.

Ich glaube Ihnen gerne, dass Sie überrascht waren, mich nun als Wissenschaftler kennenzulernen, nachdem ich bisher über die "Nebenthemen" geschrieben habe. Ich mag die Festspiele und bin nicht einmal böse, dass sie oft meilenweit von May entfernt sind. Mir reicht es, wenn die Figuren stimmig sind, sonst geht es mir wie bei den Marheinecke-Bänden (deren Fan ich übrigens bin): wenn wir literarische Figuren liebgewonnen haben, ist es doch nur zu natürlich, uns immer neue Geschichten mit ihnen auszuspinnen. Da May trotz seiner Produktivität eben doch nur eine endliche Anzahl an Erzählungen hinterlassen hat, ist es doch schön, dass es Bühnen- oder Romanautoren gibt, die uns mit neuen Geschichten versorgen. Und bei Marheinecke/Laroche ist die Figurenzeichnung manchmal sogar differenzierter als bei May.

Wenn Sie aber darauf anspielen, dass ich May als Unterhaltungsschriftsteller sehe und Sie im Hinblick auf das Spätwerk diese Einschätzung nicht teilen, kann ich dazu nur sagen, dass mir die These, er sei mit seinem symbolistischen Werk über die Unterhaltungsschriftstellerei hinausgekommen, durchaus bekannt ist. Eine eigene Meinung habe ich mir dazu noch nicht gebildet, ich werde es einmal anhand von Winnetou IV für mich überprüfen. Da mein eigentlicher Schwerpunkt aber auf der Schillerforschung liegt, verzeihen Sie mir bitte, wenn ich Karl May trotz aller seiner Entwicklungsschritte dennoch nicht zur Höhenkammliteratur zählen kann. Dazu schlage ich mich mit zu vielen wirklich hervorragenden Texten herum.

Beste Grüße
Barbara Drucker

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