Karl Mays Henrystutzen

Antworten
Nachricht
Autor
Elbefreund
Beiträge: 6
Registriert: 21. Feb 2019, 11:53

Karl Mays Henrystutzen

#1 Beitrag von Elbefreund »

Seid gegrüßt, ihr May-Fans!
Auch ich habe in meiner Jugendzeit Mays Bücher regelrecht verschlungen. Als langjähriger Sportschütze und beruflich auf wissenschaftlich-technischem Gebiet tätig, machte ich mir schon sehr früh Gedanken über den berühmten Henrystutzen, und ich musste mit Erstaunen zur Kenntnis nehmen, dass man heute immer noch darüber diskutiert, ob er funktioniert haben könnte. Und deshalb ist es wohl an der Zeit, mit dem Irrtum aufzuräumen, dass Karl May etwas völlig Realitätsfremdes kreiiert habe. May war waffentechnisch ein absoluter Dilettant und hat irgendeine dubiose Information der Beschreibung seines "Henrystutzens" zugrunde gelegt. Immerhin fängt es real an. Ein polygones Eisenstück mit Bohrungen für die Patronen ist noch nachvollziehbar. Eine polygone Kugel schon nicht mehr. Sie wäre als Patronenkammer völlig ungeeignet. Schusskanäle dürfen sich nicht kreuzen. Eine Zündung aus dem Zentrum einer großen Kugel heraus wäre sehr kompliziert, zumal nur die halbe Kugel nutzbar wäre, denn welcher Schütze möchte die geladenen Kammer- Mündungen der anderen Hälfte nach hinten und damit direkt auf sich gerichtet sehen!
Aber May klärt, zwar spät, das Rätsel auf: "Paternosterlader" heisst das Zauberwort. Und jeder waffentechnisch Versierte, der schon einmal mit einem Paternoster gefahren ist, müsste eigentlich sofort Bescheid wissen. Der Begriff sagt alles und nimmt durch seine Eindeutigkeit sogar späteren Patentanmeldern moralisch den Wind aus den Segeln, weil May damit das Urheberrecht an diesem Prinzip, was den Einsatz an einer Schusswaffe betrifft, erworben hat. Und dieses Prinzip sagt nicht mehr und nicht weniger, als dass, im Gegensatz zu einem bekannten Magazin-Lader, nicht die einzelne Patrone, sondern die jeweilige, sie aufnehmende "Kammer", in irgend einer Weise vor den Lauf bewegt wird, in dem sie als miteinander über jeweils ein Gelenk verbundenes "Kammer-Glied" um zwei Drehpunkte, zwar nicht exzentrisch, aber fast elliptisch umläuft.
Das Prinzip ist, ganz im Gegensatz zu den bekannten nachgebauten Phantasie-Henrystutzen, sehr leicht technisch umsetzbar und ergäbe eine einfache, absolut zuverlässige Waffe. Das Repetieren kann, wie beim Trommelrevolver, durch Spannen des Hahnes erfolgen. Dabei wird die jeweils nächste Patrone an den (nicht in den !) Lauf geschoben. "Das Polygon ruckt weiter".
Leider lässt sich der Mangel jeder mechanisch arbeitenden Waffe, ihre enorme Empfindlichkeit gegen Verschmutzung und Deformation, nach dem häufig von May geschilderten Wegwerfen in den Straßenschmutz, oder bei Verwendung als Brecheisen bzw. Stütze bei Tunnelgrabungen, auch mit dieser Konstruktion nicht beheben.
Zur Fertigung werden keine besonderen Werkstoffe benötigt. Die Einzelteile sind unkompliziert. Jeder Büchsenmacher könnte an Hand von Konstruktionsunterlagen unter Zuhilfenahme von Bohr- Dreh- und Fräsmaschine einen "Paternosterlader" fertigen, der allerdings nur bei kleinstem Kaliber seine 25 Patronen aufnehmen könnte und sich sonst mit weniger begnügen muss. Aber die entscheidende Frage bleibt: Wem nützt dies heute noch?
Der Filmindustrie ist es gleich, was sich unter der Blechhaube eines "Henrystutzens" verbirgt.
Als (leider zunehmend unerwünschtes) Kinderspielzeug aus Plast, als Deko oder Salut aus einer Zinklegierung, wäre eine solche Waffe denkbar. Bei Sportschützen dürfte kaum Bedarf bestehen. Aber ich stelle diese Frage mal zur Diskussion.
Alles in Allem sollten die May-Fans erleichtert zur Kenntnis nehmen, dass ein Paternosterlader keinesfalls ein Phantasieprodukt sein muss und nur die Entwicklung moderner, vor allem aber wesentlich leichterer Blech-Magazine seine Weiterentwicklung überflüssig machte.
Karl May sei damit in dieser Frage rehabilitiert.
Schützen- Grüße von Bernhard

Marlies
Beiträge: 333
Registriert: 26. Jan 2009, 01:44
Wohnort: Tasmania
Kontaktdaten:

Re: Karl Mays Henrystutzen

#2 Beitrag von Marlies »

@Elbefreund - dies gerade gefunden - auch das 'Kugelschloss' is machbar, mit Materialien und Werkzeugen von anno dazumal (keine Kreuzung von Schusskanaelen) http://australianfriendsofkarlmay.yolas ... -gregg.php - ein Waffenexperte hat das fuer mich entworfen fuer die 2012 Anniversary Edition of The Treasure In Silver-Lake. Ich schliesse die Recherchen nun ab mit dem Paternosterlader - vielleicht ist May's Paternosterlader eine 'mispronounciation' auf Deutsch des Porter Turret Gewehres (etwas weit hergeholt, zugegeben - aber die Mystique bleibt). Gruss, Marlies

PS https://www.forgottenweapons.com/category/air-gun/
oder
Treeby Chain Gun hier: http://shipwrecklibrary.com/deadlands/revolving-rifles/ (Kettengewehr ... Kette - Paternoster?)

Genug um die Fantasie anzuregen.

:-)

Elbefreund
Beiträge: 6
Registriert: 21. Feb 2019, 11:53

Re: Karl Mays Henrystutzen

#3 Beitrag von Elbefreund »

Zunächst einmal ganz herzlichen Dank für Deine Quellenangaben. Manche Entwicklung kannte ich bisher nicht. Zum Kugelgewehr: Lass Dir bitte von einem langjährigen Sportschützen sagen, dass eine Vollkugel, aus welcher ein Dutzend Projektile rückwärts auf den Schützen gerichtet sind, immer ein erhebliches Unbehagen erzeugen würde. Nach mehreren Schüssen erhitzt sich die Kugel und in Verbindung mit dem erheblichen Schlag bei Schussabgabe ist eine Entzündung irgendeiner Patrone alter Konstruktion nicht völlig ausgeschlossen. Vor allem in der Anfangszeit der Trommelrevolver (Perkussionszündung) kam es zu solchen Unfällen. Eine Halbkugel bringt gegenüber einer Trommel keine Vorteile. Die beschränkte Größe der Trommel begrenzt natürlich die Aufnahmekapazität. Deshalb bleibt nur die Möglichkeit, diese in Segmente zu zerlegen und bei akzeptabler Breite in die Länge zu ziehen. Solche Segmente hätten auch noch bei viel Phantasie etwas mit einem Polygon zu tun, dessen Einzelteile sich um zwei Drehpunkte bewegen, wie beim Paternoster. In Deiner Quelle fand ich auch erstmals das Treeby Chain Gun. Hier wurden allerdings die Segmente unvorteilhaft durch kurze Laufstücke ersetzt, aber das Paternoster-Prinzip ist gewährt. Es gehört nur noch eine gewölbte Blechverkleidung zum Schutz vor mechanischer Beschädigung und Verschmutzung darum, und der realitätsnahe "Henrystutzen" wäre fertig.

Marlies
Beiträge: 333
Registriert: 26. Jan 2009, 01:44
Wohnort: Tasmania
Kontaktdaten:

Re: Karl Mays Henrystutzen

#4 Beitrag von Marlies »

:-) - erhebliches Unbehagen - :-) Zudem, das Gewicht! (Nicht Vollkugel, hohl und gestumpft oben und unten.) Aber das Wichtigste ist doch dass der Karl May erreicht hat was er erreichen wollte - naemlich dass man von ihm noch immer redet - one way or another! Vielleicht sehen wir den 'Henrystutzen' einmal in der Zukunft in CGI - da ist manches moeglich; da waere auch das Anschleichen auf Zehen- und Fingerspitzen moeglich.

Das Recherchieren auf unmoeglichen Umwegen war mir das liebste waehrend den 13 oder so Jahren, und jetzt wo der Reinhard die Uebersetzungen so wunderschoen auf e-books umformattierte, wollte ich 'the loose end' des Henrystutzens noch vervollstaendigen auf meiner website. Der Paternosterlader ist das Glanzstueck - ein toller Schlusspunkt.

Ich hoffe dass eines Tages jemand mit einer wissenschaftlichen Peer-geprueften(?) Abhandlung die wikipedia page des 'Henry Carbine' doch noch alleinstehend schalten kann (sorry mein Denglish). Der Henrystutzen ist halt doch nicht die Henry Rifle. (Siehe mein anderer Beitrag ueber den Henrystutzen auf Wikipedia.)

Cheerio
Marlies

Elbefreund
Beiträge: 6
Registriert: 21. Feb 2019, 11:53

Re: Karl Mays Henrystutzen

#5 Beitrag von Elbefreund »

@Marlies-sehr schöne Ergänzung der Seite, mit dem Paternosterlader. Großes Lob für die enorme gesamte geleistete Fleißarbeit. Nun müsste das Ganze noch irgendwann einmal ins Deutsche übertragen werden.
Technisch wäre nur noch folgendes zu sagen: das abgebildete Kettengewehr stammt aus der Vor-May-Zeit. Die einzelnen Kammern mussten noch mühsam von vorn mit Pulver und Kugeln und von hinten mit Zündhütchen geladen werden. Die patronierte Munition war noch nicht im Gebrauch. Dieses Kettengewehr war keine gute Konstruktion und hatte deshalb auch keine reale Überlebenschance. Aber es verkörperte tatsächlich das Paternoster-Prinzip. May hat sich vermutlich etwas moderneres vorgestellt. Quaderförmige, abgerundete Kammern, die direkt aneinanderhingen und selbst die Kette verkörperten. Das hätte dann eine auch optisch schönere Waffe ergeben. Aber wir wissen es nicht. Auf jeden Fall sind aber jegliche Kugelladervarianten nach seiner späten Einsicht nicht mehr vertretbar. Und diese späte Einsicht ehrt auch den waffentechnischen Dilettanten May.
Grüße

Marlies
Beiträge: 333
Registriert: 26. Jan 2009, 01:44
Wohnort: Tasmania
Kontaktdaten:

Re: Karl Mays Henrystutzen

#6 Beitrag von Marlies »

;-) Na also, dann uebersetz mal ... Die deutsch-sprachige Karl-May-Welt weiss doch eh schon alles was zu wissen ist ueber May - mein 'English Expose' ueber einen Deutschen Muenchhausen der Victorianischen Zeit ist eben fuer die English-speaking world. Aber schoen dass du meine 15-jaehrige Arbeit anerkennst mit deinen lieben Worten. --- Von wegen 'Zaubergewehr' ... das technische ist doch Nebensache ;-) Hauptsache die Idee passt ins Abenteuer.

Gruss
Marlies

Antworten