"Karl Mays Winnetou 1 - 3 - Ein Abenteuerroman für Kind

Joshua
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Registriert: 5. Jun 2006, 15:41

Beitrag von Joshua »

Als Kinderliteratur würde ich KMs Reiseerzählungen nicht betrachten, eher schon als Jugendliteratur, obwohl er sich natürlich dagegen wehren würde. Streng genommen hat er ja nur eine Handvoll Erzählungen für die Jugend geschrieben (Der schwarze Mustang, Der Sohn des Bärentöters - beide heute unter "Unter Geiern" veröffentlicht -, Das Vermächtnis des Inka, Der Ölprinz, Der Schatz vom Silbersee, Der blau-rote Methusalem, Die Sklavenkarawane), der Rest war durchaus für ein erwachsenes Publikum gedacht und wurde auch von einem solchen gelesen (wenn natürlich auch die Jugend gern zu seinen anderen Werken griff; Ausnahme: sein Alterswerk). Der "Winnetou" ist also erst durch die Leser zum Jugendbuch geworden, und er findet sich ja auch heute, wie überhaupt der ganze May, in den Jugendbuchabteilungen der Buchhandlungen.
Der heutigen Definition eines Jugendbuchs scheinen mir die Mayschen Erzählungen wenig zu entsprechen; ich halte sie auch für diskussionswürdig (wie übrigens auch viele der heutigen Jugendbücher, die ich als quälend langweilig und teilweise grottenschlecht geschrieben empfinde).
Warum May für jugendliche Leser über Generationen so faszinierend war, lässt sich zu einem großen Teil natürlich durch seine gewählte Erzählperspektive verstehen. Seine Erzählungen sind in der Regel Ich-Erzählungen aus der Sicht Old Shatterhands/Kara Ben Nemsis verfasst (kurioser Weise werden die für die jugendlichen Leser konzipierten Geschichten [s.o.] aus der Er-Perspektive erzählt). Gerade diese Ich-Perspektive macht eine Identifikation mit dem Erzähler-Helden gut möglich. Der jugendliche Leser darf mit Shatterhand nachvollziehen, wie es ist, sich an Feinde anzuschleichen, diese zu belauschen, ja diese zu bekämpfen - und geht immer als Sieger hervor. Und das Tollste (gerade für eine von den Eltern lange Zeit kurzgehaltene Jugend) war: der Leser erlebte Dinge, die natürlich nur Erwachsenen vorbehalten waren. So nimmt es nicht wunder, dass über Generationen das Nachspielen von KM-Situationen ein weit verbreitetes Spiel war (und sogar literarischen Niederschlag fand: Leonhard Frank, Die Räuberbande). Die Jugendlichen spielten Winnetou und Old Shatterhand nicht selten als eine Vorform heutiger (Fantasy-) Rollenspiele. Dieser hohe Grad der Identifikation führte zu einer großen Beliebtheit, und es war vielen Jugendlichen auch völlig gleichgültig, ob May die Abenteuer wirklich selbst erlebt hatte, oder ob es sich lediglich um Fiktionen dabei handelte (vgl. Egon Erwin Kisch in seinen May-Reportagen).
Fazit: Der Jugendliche konnte bei seiner May-Lektüre Situationen nachempfinden/ausleben, die ihm sonst im Leben nicht geboten wurden (dazu Pflichtlektüre: Stolte, Das Phänomen Karl May). Das war u.a. die Ursache seines Erfolgs bei jugendlichen Lesern. Dass May oftmals von Lehrern und Eltern als verderblich angesehen wurde, steigerte den Reiz der Lektüre natürlich noch. Heute ist die Situation natürlich eine andere. Heute sind die meisten Eltern froh, wenn ihr Kind überhaupt liest. Insgesamt liest die Jugend angeblich allgemein weniger, und wenn, dann handelt es sich derzeit oftmals um Fantasyliteratur, nicht selten auf jugendliches Format gestutzt (Harry Potter, Cornelia-Funke-Bücher). Es bleibt also die "Flucht" in die Fantasie. Die pädagogisch konzipierten Jugendbücher haben demgegenüber einen starken Realismusgehalt, werden aber weniger gelesen. May war für frühere Leser auch viel mehr der Fantasyliteratur ähnlich als heute, denn oftmals hatten die Leser keine Vorstellungen von den Welten, die er als Shatterhand/Kara Ben Nemsi bereiste. Heute muss man nur Voxtours und andere Reisemagazine glotzen, und schon hat man die Welt vor Augen. Für nicht wenige jugendliche Leser scheinen Mays Länderbeschreibungen also auch dadurch weniger attraktiv zu sein (obwohl sie oftmals nur nebulöse Vorstellungen von diesen Ländern haben).
Jugendliche Leser in der Pubertät interessieren sich heute darüber hinaus eher für Hard Bioled Heroes. Ein Shatterhand wird da nicht selten als zu soft empfunden, obwohl er ebenfalls durchaus gnadenlose Taten begeht (man denke an die Folter in "In den Kordilleren").
Grüße,
Joshua
Joshua
Beiträge: 10
Registriert: 5. Jun 2006, 15:41

Beitrag von Joshua »

Pardon, Tippfehler: Ich meinte "Hard Boiled Heroes", bin aber zu blöd, um meinen Beitrag zu bearbeiten. :)
Grüße,
Joshua
Nscho Tschi
Beiträge: 9
Registriert: 5. Jun 2006, 19:50

Beitrag von Nscho Tschi »

Danke für deinen ausführlichen Beitrag, Joshua. Finde ich sehr gut. :)

Ich weiß nicht, ob du die Sache in dem anderen Forum mitbekommen hast. Jedenfalls werde ich nicht weiter in den beiden Foren schreiben. Ich dachte, dass ich dir eine PN oder E-Mail schreiben könnte, leider war das aber nicht möglich. :(

Also, danke für eine Hilfe. :)
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