Master Lindsay und die Fowling-bulls

Rüdiger

Master Lindsay und die Fowling-bulls

Beitrag von Rüdiger »

(oder auch Das Geschreibsel zum Sonntag)

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Eine der merkwürdigsten Männerfreundschaften in Karl Mays Gesamtwerk.

Fowling-bulls sucht er, und unternimmt auch allerhand in der Richtung, allzu großer Erfolg will sich allerdings nie so recht einstellen, vielleicht kommt’s ja noch, in einem bis dato unbekannten Band aus dem Nachlaß, oder von Heinz Grill oder sonstwem. Gelegentlich gerät er auf der ständigen Suche nach Kompagnons auch an die falschen und kriegt dann schon mal ordentlich eins auf die Mütze, so in Band 3.

Gut, dass Lindsay bei Karl May offenbar Geld ohne Ende hat, dann kann man sich solche Sperenzchen ohne Netz und doppelten Boden schon eher leisten, man stelle sich einmal vor, der Mann hätte Frau und Kinder zu versorgen, da könnte es einem mitfühlend-herzigen Leser ja angst und bange werden. Bei aller durchaus vorhandenen Begabung & Affinität zu Fowling-bulls (klingt für sehr nüchterne Betrachter lautmalerisch entfernt ähnlich wie „Flausen im Kopf“), manchmal würde man sich dann doch wünschen, der Mann würde in Good Old England einem anständigen, sicheren Beruf nachgehen, als für seine Träume gleichsam Leib und Leben zu riskieren.

So wirklich richtig böse sein kann man dem Mann nicht. Geht irgendwie nicht. Der Ich-Erzähler ist zwar manchmal am Rande der Verzweiflung, und Lindsay hat ihm im Laufe der Bände so manch dickes Ei ins Netz gesetzt und ihm Scherereien ohne Ende an den Hals gebracht (ohne sich aber, sonnigstgemütigst, dessen wirklich bewusst zu sein), und so fliegen auch schon mal die Fetzen, Kara Ben Nemsi, der, wie mir scheint, härtere von den beiden, wird richtig unangenehm, ganz schön fies kann er auch schon mal sein, und Lindsay ist gekränkt und beleidigt. Jedenfalls für eine Weile. Man kann sich ja in solchen Situationen des Eindrucks nicht so ganz erwehren, dass der Erzähler da gleichsam zwei große Kinder am Wickel hat. Aber das wird dann jeweils schon wieder, sie sind ja beide nicht so.

Nur eines fällt einem im Laufe der Zeit dann doch auf: nach ersten schlechten Erfahrungen meint man später den Ich-Erzähler erschrockenen Gesichtes und alle zehn Finger abwehrend spreizend vor seinem geistigen Auge zu sehen, wenn der Olle wieder Fowling-bulls mit ihm ausgraben will … Und er lässt ihn dann auch schon mal alleine losziehen und hat lieber erstmal seine Ruhe. Er ist ja derlei Aktivitäten gegenüber prinzipiell gar nicht abgeneigt, im Gegenteil, unternehmungslustig ist er durchaus, aber nicht mit der Brechstange und nicht um jeden Preis drauflos. Jedwedes Ding hat seine Zeit, und warten können muß man auch. Und im „Silberlöwen“, als man sich in etwas unerfreulicher Weise trennt, muß sich der Ich-Erzähler ja auch erstmal sozusagen um seine Selbstfindung kümmern, als sich auf zeit- und nervenraubende Unternehmungen einzulassen, von denen man nie weiß, was wirklich dabei herauskommt.

Das Figurenlexikon meint:

L. ist zwar ein ›spleeniger‹ englischer Lord, oft zur Karikatur verzerrt, aber er ist tapfer (Bärenjagd), dem Abenteuerleben durchaus gewachsen (ein guter Schwimmer, ausdauernder Läufer, exzellenter Schütze), ein guter Kamerad und Freund. Sein Selbstbewußtsein ist grenzenlos: »Ich bin Englishman und thue, was mir beliebt.«

Na denn.

(An wen Karl May bei der Figur seines „Sir David“ (!) gedacht haben mag, werden wir wohl nie erfahren. Auf entsprechende Anfragen soll er auch schon mal geantwortet haben: „Ähnlichkeiten mit lebenden oder toten Personen sind weder beabsichtigt noch zufällig, sondern unvermeidlich“.)