Giftpfeile

Merhameh
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Giftpfeile

Beitrag von Merhameh »

Hallo zusammen,
z. Zt. lese ich wieder einmal den "Sendador". Ich weiß nicht, ob es euch auch so geht, aber wenn ich ein Buch wiederholt lese fällt mir immer wieder ein anderer Aspekt besonders auf, dem ich zuvor keine besondere Beachtung geschenkt habe. Dieses Mal sind es die vergifteten Pfeile der südamerikanischen Indianer. Der Ich-Autor weist unverhältnismäßig oft auf deren Gefährlichkeit hin. In den Nordamerika- oder Orientromanen zeigt er diese "Ängstlichkeit" vor den Waffen der Einheimischen nicht, ja er weist diesmal sogar darauf hin, dass Apachen und Sioux den Stämmen Südamerikas weit überlegen sind.

Hängt diese Darstellung vielleicht mit der Entstehungsphase des Romans zusammen, weil KM oft persönliche Befindlichkeiten verarbeitet? Handelt es sich um Schludrigkeit beim Schreiben, die zu häufigen Wiederholungen führt? Wie empfindet ihr den Unterschied zu anderen Werken unseres Autors? (oder bin ich einfach zu neugierig? :-) )

Salam
Merhameh
JennyFlorstedt
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Re: Giftpfeile

Beitrag von JennyFlorstedt »

Hmmmm... ich sah es prosaisch so, dass man sich als Held gegen geschleuderte Tomahawks oder Czakans wehren kann und damit geschlagene Wunden heilen. Gift dagegen ist hinterhältisch und immer tödlich und sozusagen das Kryptonit des Superhelden. Und wenn er nicht seine Rüstung... ähm.. sein Lederwams angehabt hätte, hätte es ihn ja auch erwischt.

Jenny

PS: Nein, ich bin kein Freund tiefenpsychologischer Deutung. Ich bin es zufrieden, wenn ich einen zeitgenössischen, zum Thema passenden Zeitungsartikel finden, den Karl May zur Zeit der Niederschrift gelesen haben könnte. ;)
Rüdiger

Re: Giftpfeile

Beitrag von Rüdiger »

Merhameh hat geschrieben:die vergifteten Pfeile der südamerikanischen Indianer. Der Ich-Autor weist unverhältnismäßig oft auf deren Gefährlichkeit hin. In den Nordamerika- oder Orientromanen zeigt er diese "Ängstlichkeit" vor den Waffen der Einheimischen nicht, ja er weist diesmal sogar darauf hin, dass Apachen und Sioux den Stämmen Südamerikas weit überlegen sind.

Hängt diese Darstellung vielleicht mit der Entstehungsphase des Romans zusammen, weil KM oft persönliche Befindlichkeiten verarbeitet?
Eine interessante Beobachtung. Ich würde aber nicht von "Ängstlichkeit" sprechen, sondern von erhöhtem Bewußtsein in Sachen Gefahr und Bedrohlichkeit. Und das bezieht sich wie bei Karl May üblich freilich über die Grundleseebene hinaus auch auf Anderes. Zum einen auf seine persönliche Befndlichkeit, seine eigenen Erfahrungen, geht aber auch darüber hinaus, da er ja nicht der Einzige ist, der solche Erfahrungen gemacht bzw. solche Befindlichkeiten durchlebt hat.

Karl May fühlte sich zeit seines Lebens [wie jeder bewußte Mensch, und durchaus zurecht] immer wieder nicht recht wohl in seiner Haut, mal mehr, mal weniger, und auch mal mehr und mal weniger bewußt. Zu 'Sendador'-Zeiten mag das Bewußtsein für die vergifteten Pfeile der Welt [& des eigenen Innern], für die Zerbrechlichkeit jedweder vermeintlicher Sicherheit und das ständige Ausgeliefertsein, etwas stärker gewesen sein ... Das dünne Salz der Schotts taucht hier als Sumpf wieder auf, über den es ohne die Hilfe des Bruder Jaguar nicht hinweg gegangen wäre ... Und noch am Ende hängt man hilflos überm Abgrund.

Es mag sein daß er irgendwelche Zeitungsartikel über Giftpfeile gelesen hat, ja das ist anzunehmen. Ich persönlich finde indes völlig uninteressant, in welcher Zeitung das wann und wo gestanden haben mag ... Er hat sich eines Bildes bedient, für Wesentlicheres.
Helmut
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Re: Giftpfeile

Beitrag von Helmut »

Nicht nur meiner Meinung nach, enthält der Sendador-Roman sehr viel Autobiografisches. So ist der Bösewicht (Sendador) ja äußerst zwiespältig gezeichnet (im Gegensatz zu der oft behaupteten "Schwarz-Weiß"-Darstellung), und die Tatsache wie viele Möglichkeitem im eingeräumt werrden, sich zum "Guten zu wandeln" ist schon sehr bezeichnend.

Helmut
Rolf Dernen
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Re: Giftpfeile

Beitrag von Rolf Dernen »

Helmut hat geschrieben:Nicht nur meiner Meinung nach, enthält der Sendador-Roman sehr viel Autobiografisches. So ist der Bösewicht (Sendador) ja äußerst zwiespältig gezeichnet (im Gegensatz zu der oft behaupteten "Schwarz-Weiß"-Darstellung), und die Tatsache wie viele Möglichkeitem im eingeräumt werrden, sich zum "Guten zu wandeln" ist schon sehr bezeichnend.
So ist es. May malte eben nicht ständig schwarzweiß, was auch Figuren wie Old Wabble oder der Reïs Effendina zeigen.
Rüdiger

Re: Giftpfeile

Beitrag von Rüdiger »

Merhameh
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Re: Giftpfeile

Beitrag von Merhameh »

@ Rüdiger
Muchas gracias!
JennyFlorstedt
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Registriert: 28. Dez 2005, 10:25

Re: Giftpfeile

Beitrag von JennyFlorstedt »

Rolf Dernen hat geschrieben:
Helmut hat geschrieben:Nicht nur meiner Meinung nach, enthält der Sendador-Roman sehr viel Autobiografisches. So ist der Bösewicht (Sendador) ja äußerst zwiespältig gezeichnet (im Gegensatz zu der oft behaupteten "Schwarz-Weiß"-Darstellung), und die Tatsache wie viele Möglichkeitem im eingeräumt werrden, sich zum "Guten zu wandeln" ist schon sehr bezeichnend.
So ist es. May malte eben nicht ständig schwarzweiß, was auch Figuren wie Old Wabble oder der Reïs Effendina zeigen.
Aye. Der Sendador-Roman ist der, wo der Held tatsächlich mal ernsthaft mit der dunklen Seite der Macht liebäugelt. Ich finde das Verhältnis zwischen Ich-Erzähler und Sendador sehr, sehr spannend.
Rüdiger

Re: Giftpfeile

Beitrag von Rüdiger »

Zur Relativität von Gut & Böse bzw. unterschiedlichen Blickwinkeln je nach Drehung des Prismas vgl. Brief Sascha Schneiders an Karl May Ostern 1910, GW 93 S. 292 ff.
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